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Wissen kann man nicht managen - nur Mitarbeiter

Wissen kann man nicht managen - nur Mitarbeiter

Der modische Begriff "Wissensmanagement" geistert durch immer mehr Führungsetagen, doch bleibt er seltsam inhaltsleer Von Fredmund Malik

St. Gallen - Nur wenige Führungskräfte dürften derzeit den Mut haben, öffentlich zuzugeben, dass sie - wie vermutlich 99 Prozent aller Manager - nichts von Wissensmanagement verstehen. Es ist einmal mehr ein Tummelfeld für IT-Spezialisten, Consultants und Trainer entstanden, die damit ihre eigene Existenz zu rechtfertigen versuchen, ohne dafür Verantwortung und Aufwand tragen zu müssen.

Jeder Führungskraft muss dringend empfohlen werden, realistisch zu bleiben und genau zu prüfen, wie es mit den Kleidern des Kaisers bestellt ist. Man kommt recht schnell dahinter, dass der Kaiser nicht nur nackt ist, sondern dass er auch gar kein Kaiser ist.

Was man mit Wissensmanagement bisher meint, ist wenig überzeugend. Wie soll man sich das Management von Wissen, nicht etwa nur Daten oder Informationen, in einem einigermaßen vernünftigen und auch praktisch brauchbaren Wortsinn vorstellen? Meint man Denken? Oder gar Nachdenken, meint man Überlegen, Schlussfolgern, Sinnen, Wahrnehmen, Erkennen, Verstehen, Begreifen, Forschen, Entdecken, Erfinden, Lernen, Lehren?

Das ist eine Auswahl jener Tätigkeiten, mit denen Menschen bisher ihren jeweiligen Wissensbestand verändert haben. Hinzufügen könnte man auch Beobachten, Untersuchen, Lesen, Hören, Erinnern, Diskutieren. Damit wurde bisher Wissen gewonnen oder erworben, verbessert, erweitert, berichtigt und an andere Menschen weitergegeben. Wenn man das meint, dann soll man es doch auch sagen.

Alle diese im Einzelnen sehr verschiedenartigen Tätigkeiten in einem Wort und gar noch in "managen" zusammenzufassen ist die ultimative Zerstörung jeder Klarheit und Brauchbarkeit sowohl des Begriffes "Wissen" als auch von "Management" und allem, was damit im weitesten Sinne zusammenhängt. Von Wissensmanagement zu reden, ist ungefähr gleich aussagekräftig, wie in Zusammenhang mit der Entstehung oder auch der Aufführung einer Beethoven-Symphonie von Soundmanagement zu reden oder die Kunst Claude Monets als Pinselmanagement zu bezeichnen. Das würde ebenso deprimierend wenig über Beethoven und Monet, über Musik und Malerei sagen, wie es beschämend viel über den Benützer solcher Begriffe sagte.

Wenn man einmal den Lärm abstellt und der Sache auf den Grund geht, dann stellt sich heraus, dass das, was als Wissensmanagement bezeichnet wird, in Wahrheit etwas ganz anderes ist, nämlich Dokumentenmanagement. Besseres Dokumentenmanagement ist ein Fortschritt. Es ist nützlich, wenn Dokumente, wie auch immer sie heißen mögen, besser und übersichtlicher verwaltet werden können; wenn man sie leichter und in mehr Situationen einer größeren Zahl von Personen und vor allem den richtigen Personen verfügbar machen kann. Das sind neue Formen der Archivierung und des Retrievals, aber längst noch kein Wissensmanagement.

Wissen ist etwas, was beim derzeitigen Stand gar nichts mit Computern und IT zu tun hat, sondern mit Gehirnen und mehr noch mit Verstand und Vernunft. Wissen ist etwas, was seinen Ort - salopp formuliert - zwischen zwei Ohren hat und nicht zwischen zwei Modems. Die Wissenschaften, die sich am intensivsten mit dem befasst haben, was man am ehesten als Wissensmanagement bezeichnen könnte, werden in der Diskussion über Wissensmanagement am wenigsten, ja überhaupt nicht beachtet. Es sind die Pädagogik, die Lern- und Kognitionspsychologie, die Neurowissenschaften und die Philosophie. Wenn man also fündig werden wollte, müsste man auf deren Ergebnisse abstellen und diese weiterentwickeln.

Es gibt keinerlei Möglichkeit, in irgendeinem vernünftigen Wortsinn Wissen als solches zu managen. Was aber möglich und nötig ist, und gleichzeitig durch die modernistische Fixierung auf Wissensmanagement übersehen und vernachlässigt wird, ist das Management, von Menschen, die mit Wissen arbeiten, also die Kopfarbeiter, wie man sie nennen kann und ihre eigentliche Tätigkeit, die Kopfarbeit. Mit dem Management von Wissen selbst hat das nichts zu tun.

Kopf- oder Wissensarbeiter sind eine eigentümliche Spezies. Sie unterscheiden sich in fast allem vom bisher dominierenden Typ des Arbeiters, der weniger seinen Kopf als seine Muskeln benötigte, weniger seine intellektuellen Fähigkeiten als seine Geschicklichkeit. Kopfarbeiter sind anders als Handarbeiter, das ist das Wesentliche, das Neue und das Schwierige an der Wissensgesellschaft im Vergleich mit der Industriegesellschaft.

Organisatorische Über- und Unterstellung ist bei der Führung von Kopfarbeitern keine relevante Frage. Im entscheidenden Moment ist nicht wesentlich, wer wem unterstellt ist, sondern zu wissen, "wie's geht". Zunehmende Spezialisierung in praktisch allen Wissensgebieten bringt es mit sich, dass Chefs ihre Mitarbeiter nicht mehr verstehen, nicht im üblichen Sinne der Kommunikation, sondern im fachlichen Sinne. Was immer der Chef eines Forschungsressorts in der Pharmaindustrie selbst studiert hat, in seiner Abteilung werden ein bis zwei Dutzend Disziplinen vertreten sein, von denen er wenig bis gar keine Kenntnis haben kann.

Kopfarbeiter haben spezielle Werte und ein eigenes Selbstverständnis. Sie sind an Karrieren im üblichen Sinne, vor allem an Managementkarrieren, wenig interessiert. Sie wollen fachlich interessante Aufgaben haben. Anerkennung durch einen Chef wird gering geschätzt, außer er ist selbst Fachmann auf demselben Gebiet.

Kopfarbeiter haben keine Angst. Sie fürchten sich nicht vor einem Stellenwechsel und bangen nicht um ihre Existenz. Sie sind vielleicht als Personen nicht sehr selbstbewusst, aber sie wissen, dass sie gebraucht werden, und wenn es nicht in dieser Firma ist, dann eben in einer anderen. Sie arbeiten in ihrem Selbstverständnis im Grunde überhaupt nicht für eine Firma, sondern für ein Fach.

Kopfarbeiter müssen in erster Linie geführt werden durch Aufgaben, die ihnen selbst sinnvoll erscheinen. Darüber hinaus müssen sie sich in erheblichem Maße selbst führen. Sie sind entweder Selbstorganisierer und Selbstmanager - oder sie sind ineffektiv. Das ist das neue Produktivitätsproblem in Wirtschaft und Gesellschaft.

Wissen wird - hier besteht Konsens - mit hoher Wahrscheinlichkeit die wichtigste Ressource der künftigen Wirtschaft sein, und für manche Branchen ist es schon heute die einzige. Wem es gelingt, über das Dokumentenmanagement hinauszukommen, wird eine Zeit lang einen kaum zu parierenden Konkurrenzvorteil haben. Dazu muss man Wissen produktiv machen, und das kann nur gelingen durch das Management der Wissensarbeit und des Wissens- oder besser Kopfarbeiters.

Prof. Dr. Fredmund Malik ist Verwaltungsratspräsident des Management Zentrums St. Gallen und Herausgeber des M.o.M. Malik on Management Letters

Links ins WWW Links ins World Wide Web http://www.wissensmanagement-gesellschaft.de

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Zeitung: Die Welt, http://www.welt.de [ID 9]